Mit dem Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) will der deutsche Gesetzgeber die EU-Whistleblower-Richtlinie umsetzen. Das Gesetz soll Hinweisgeber in Unternehmen bei der Meldung von bestimmten Verstößen schützen und die Prozesse rund ums Whistleblowing transparent regulieren.
Hier erfahren Sie alles Wichtige zum aktuellen Stand des Gesetzgebungsverfahrens, zu den geplanten Regelungen und den Auswirkungen auf Unternehmen.
Aktueller Stand des Hinweisgeberschutzgesetzes
Am 16. Dezember 2022 hat der Deutsche Bundestag das Hinweisgeberschutzgesetz verabschiedet. Da es sich um ein sogenanntes Zustimmungsgesetz handelt, muss der Bundesrat dem Hinweisgebergesetz diesem zustimmen. Am 10. Februar 2023 wurde das Gesetz dann aber insbesondere von den unionsgeführten Ländern im Bundesrat blockiert.
Begründet wurde dies vor allem damit, dass das Hinweisgeberschutzgesetz über die EU-Vorgaben hinausgehe und Unternehmen in einer unverhältnismäßigen Art und Weise belaste, insbesondere Kosten und zusätzlichen Bürokratieaufwand betreffend. Maßgeblich wurde neben der bürokratischen Mehrbelastung für Unternehmen durch die Einrichtung anonymer Meldestellen insbesondere die europarechtlich nicht geforderte Ausdehnung des sachlichen Anwendungsbereichs des Hinweisgeberschutzgesetz kritisiert.
Die Regierungskoalition kündigte daraufhin an, dass Gesetz in einer nicht durch den Bundesrat zustimmungspflichtigen Form erneut in den Bundestag einzubringen. Alternativ hätten Bundesregierung und Bundestag die Möglichkeit, den Vermittlungsausschuss anzurufen. Dann müsste das Gremium aus Mitgliedern des Bundesrats und des Bundestags nach einer mehrheitsfähigen Kompromisslösung für das Gesetz suchen.
Bereits bis zum 17. Dezember 2021 hätte die EU-Whistleblowing-Richtlinie in ein deutsches Gesetz umgesetzt werden müssen. Da der deutsche Gesetzgeber seiner Pflicht zur Umsetzung nicht nachgekommen ist, hat die EU am 27. Januar 2022 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. Ein erneutes Scheitern der Umsetzung in nationales Recht beschert Unternehmen und Hinweisgebende weiterhin große rechtliche Unsicherheit, und für Deutschland ist dieses erneute Scheitern im internationalen Vergleich ein Armutszeugnis.
Die Entstehung des Hinweisgeberschutzgesetzes
Neues Spiel, neues Glück so der Ansatz. Nachdem frühere Versuche ein Hinweisgeberschutzgesetz zu verabschieden scheiterten, legte die Bundesregierung 2022 einen neuen Entwurf vor, der jedoch ein weiteres Mal – diesmal im Bundesrat – scheiterte.
- April 2022: Die Bundesregierung veröffentlicht den Referentenentwurf eines Gesetzes für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, verfügbar beim Bundesministerium der Justiz, BMJ.
- 29. September 2022: Die Regierung bringt den Gesetzentwurf als Drucksache 20/3442 in den Bundestag ein, der erstmals darüber berät und den Entwurf an den federführenden Rechtsausschuss überweist.
- 19. Oktober 2022: Bei einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses werden diverse Sachverständige angehört, die Nachbesserungsbedarf am Hinweisgeberschutzgesetz anmerken.
- 14. Dezember 2022: Der Rechtsausschuss nimmt laut Pressemitteilung einen Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen an. Die wohl wichtigsten Änderungen:
- Unternehmen und öffentliche Stellen müssen in den einzurichtenden Meldestellen nun doch anonyme Meldungen ermöglichen.
- Zudem gehört auch der Digital Markets Act der Europäischen Union zum sachlichen Anwendungsbereich des Gesetzes. Dies war eine Vorgabe der EU.
- Auch sollen Hinweisgeber geschützt werden, die verfassungsfeindliche Äußerungen von Beamten melden.
- 16. Dezember 2022: Der Bundestag beschäftigt sich in zweiter und dritter Lesung mit dem Hinweisgeberschutzgesetz und der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses. Der angepasste Gesetzentwurf wird mit den Stimmen der Regierungskoalition angenommen.
- 10. Februar 2023: Der Bundesrat blockiert das Hinweisgeberschutzgesetz.
- 15. Februar 2023: Die Europäische Kommission verklagt Deutschland (und sieben weitere Mitgliedsstaaten) vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) wegen fehlender oder nicht vollständiger Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie. Die Klage hat zunächst keine direkten Folgen, kommt es jedoch zu einer Verurteilung, kann die Kommission die Verhängung eines Zwangsgeldes beantragen.
Worum geht es beim deutschen Hinweisgeberschutzgesetz?
Das Hinweisgeberschutzgesetz soll die EU-Whistleblower-Richtlinie in deutsches Recht umsetzen. Der vorliegende Entwurf regelt den Schutz natürlicher Personen, die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit Informationen über Verstöße erlangt haben und diese an eine hierfür eingerichtete Meldestelle weitergeben (sogenannte Hinweisgeber oder auch Whistleblower). Um diese Personen zu schützen, verbietet das Hinweisgeberschutzgesetz Repressalien wie Abmahnung, Versagung einer Beförderung, Disziplinarverfahren oder Mobbing gegenüber Whistleblowern.
Auf der anderen Seite soll das Gesetz durch die Einrichtung interner Meldesystemen auch Chancen für Unternehmen schaffen. Denn solche Hinweise können als Frühwarnsystem verstanden werden, die es Unternehmen ermöglichen, diese Informationen zu prüfen und darauf zu reagieren, bevor die Öffentlichkeit von den Missständen erfährt.
Bislang ist der Hinweisgeberschutz in Deutschland vor allem durch die Rechtsprechung geprägt. Insbesondere Zivil- und Arbeitsgerichte orientieren sich an den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Für Hinweisgeber gibt es derzeit nur unzureichenden Schutz, wenn sie einen Rechtsverstoß an externe Stelle melden. In der Vergangenheit entstanden somit immer wieder Nachteile, wenn sie Missstände offenlegten oder meldeten.
Der vorliegende Gesetzentwurf soll nun durch Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie und Kodifizierung der durch die Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze Rechtsklarheit für Hinweisgeber darüber schaffen, wann sie unter welchen Voraussetzungen bei der Meldung und Offenlegung von Verstößen geschützt sind.
Zudem enthält der Entwurf Regeln zugunsten von Arbeitgebern, die diesen ermöglichen, mit missbräuchlichen Hinweisen umzugehen, etwa Schadensersatzansprüche bei grob fahrlässigen Falschmeldungen.
Anwendungsbereich des Hinweisgeberschutzgesetzes
Der Entwurf zum deutschen Hinweisgeberschutzgesetz umfasst zunächst alle Personen, die in ihrem beruflichen Umfeld Informationen über Verstöße erlangt haben. Dies betrifft insbesondere:
- alle Meldungen und Offenlegungen von Verstößen, die strafbewehrt sind;
- Verstöße, die bußgeldbewehrt sind, „soweit die verletzte Vorschrift dem Schutz von Leben, Leib oder Gesundheit oder dem Schutz der Rechte von Beschäftigten oder ihrer Vertretungsorgane dient“;
- im Gegensatz zur EU-Whistleblower-Richtlinie nicht nur das Aufdecken von Verstößen gegen das EU-Recht, sondern auch gegen bestimmte Bereiche des deutschen Rechts; erfasst sind etwa Fälle, in denen Korruption, Geldwäsche oder Steuerbetrug aufgedeckt werden oder Verstöße gegen Vorgaben zum Umweltschutz oder zur Lebensmittelsicherheit.
Allerdings müssen Hinweisgeber ein genaues Verfahren einhalten und können sich nicht sofort an die Öffentlichkeit (z.B. über Medien oder soziale Netzwerke) wenden. Letzteres ist zum Beispiel möglich, wenn die hinweisgebende Person nach der Meldung eines Verstoßes an eine externe Meldestelle innerhalb des vorgegebenen Zeitraums keine Rückmeldung erhalten haben. Dies ist übrigens im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichts für Menschenrechte. Dieser bestätigt die Pflicht des Arbeitnehmers zu Loyalität, Zurückhaltung und Vertraulichkeit gegenüber seinem Arbeitgeber und bezeichnet den Gang an die Öffentlichkeit als „letztes Mittel“.
Regelungen des Hinweisgeberschutzgesetzes
Interne und externe Meldewege
Der neue Gesetzentwurf stellt interne und externe Meldewege vollständig gleichwertig. Ein Hinweisgeber soll die freie Wahl haben, ob er sich zunächst an die interne Stelle des Unternehmens oder an eine externe Behörde wendet. Interne Meldestellen haben somit keinen Vorrang vor externen Meldungen.
Zentrale externe Meldestelle beim Bundesamt für Justiz
Die externe Meldestelle, an die Hinweise über ein Fehlverhalten gemeldet werden können, ist im vorliegenden Gesetzesentwurf das Bundesamt für Justiz. Die Behörde soll als zentrale externe Anlaufstelle (sogenannter One-stop-shop) auf Bundesebene dienen. Hinweisgeber sollen dadurch davon befreit werden, sich mit Zuständigkeitsfragen auseinandersetzen zu müssen.
Pflicht für anonyme Meldewege
Der überarbeitete Entwurf enthält nun doch die Pflicht, dass sowohl interne als auch externe Meldestellen Verfahren für anonyme Meldungen vorhalten und solche Meldungen bearbeiten müssen. Die Begründung hierfür ist, dass neue Hinweisgeberschutzsystem nicht zu überlasten und zunächst erste Erfahrungen abzuwarten. Somit müssen Meldestellen entsprechende Vorkehrungen treffen, um auch eine anonyme Kommunikation zwischen Hinweisgebenden und Meldestelle zu ermöglichen.
Pflicht zur Einrichtung interner Meldestellen
Anforderungen an die Meldestelle
- Das Verfahren der Meldungsabgabe muss mündlich, schriftlich und auf Wunsch des Hinweisgebers auch persönlich möglich sein.
- Die interne Meldestelle muss der hinweisgebenden Person innerhalb von sieben Tagen den Eingang der Meldung bestätigen. Bei der externen Meldestelle muss diese Bestätigung umgehend, spätestens jedoch nach sieben Tagen erfolgen.
- Innerhalb von drei Monaten nach Bestätigung des Eingangs muss die jeweilige Meldestelle dem Hinweisgeber eine Rückmeldung geben. Diese Rückmeldung muss über geplante sowie bereits ergriffene Folgemaßnahmen mitteilen, sowie die Gründe für diese nennen.
- Die Meldungen sind umfassend zu dokumentieren.
Vertraulichkeitsgebot und Anforderungen an die Bearbeiter der Meldung
Damit ein Hinweisgeberschutzsystem effektiv ausgestaltet werden kann, ist ein wirksamer Schutz der Identität des Hinweisgebers und auch der von der Meldung betroffenen Personen notwendig. Der Entwurf zum Hinweisgeberschutzgesetz sieht vor, dass die Identität dieser Personen nur dem für die Meldung zuständigem Bearbeiter bekannt sein darf. Nur in Ausnahmefällen darf die Identität des Hinwegebers oder der Person, die Gegenstand einer Meldung ist, herausgegeben werden, z.B. in Strafverfahren auf Verlangen der Strafverfolgungsbehörden.
Der Entwurf regelt zwar nicht, welche Personen, Organisationseinheiten oder Dritte am besten geeignet sind, die Aufgaben zu erfüllen, allerdings müssen die internen Meldestellen Unabhängigkeit wahren und frei von Interessenskonflikten sein. Die EU-Whistleblower-Richtlinie erwähnt im Rahmen der Erwägungsgründe beispielhaft Mitarbeiter der Compliance- oder Rechtsabteilung, den Datenschutzbeauftragten des Unternehmens sowie externe Berater. Zudem müssen die mit der Bearbeitung der Meldungen betrauten Personen für diese Aufgabe besonders geschult werden. Sie müssen nicht nur mit den Systemen vertraut sein, sondern sollten insbesondere geltende Datenschutzvorschriften kennen (siehe dazu auch unser Beitrag zum Datenschutz beim Whistleblowing).
Beweislastumkehr
Landet ein Fall vor Gericht, soll eine im Entwurf vorgesehene Beweislastumkehr helfen. Dies ist neben dem Schutz vor Repressalien eine wichtige Schutzmaßnahme zugunsten des Hinweisgebers. Erleidet ein Whistleblower nach einem Hinweis Repressalien, wird zu dessen Gunsten vermutet, dass z.B. eine Kündigung auf seinen Hinweis hin ausgesprochen wurde. Der Arbeitgeber muss somit nachweisen, dass zwischen einer Kündigung eines Mitarbeiters und der Meldung von Missständen keinerlei Verbindung besteht.
Schadensersatzansprüche und Sanktionen
Der Entwurf zum Hinweisgeberschutzgesetz enthält zudem Bestimmungen zu Schadensersatzansprüchen und Sanktionen:
- Bei einem Verstoß gegen das das Repressalienverbot, ist der hinweisgebenden Person der Schaden zu ersetzen.
- Bei einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Falschmeldung ist hingegen die hinweisgebende Person zur Erstattung des dadurch eingetretenen Schadens verpflichtet.
- Verstöße gegen die wesentlichen Vorgaben des Gesetzes sollen als Ordnungswidrigkeiten mit einer Geldbuße geahndet werden können. Dies ist z.B. der Fall für Behinderungen von Meldungen aber auch das wissentliche Offenlegen unrichtiger Informationen.
- Das Nichtbetreiben einer internen Meldestelle ist nach dem Entwurf bußgeldbewehrt. Zudem soll die Gleichstellung interner und externer Meldewege dafür sorgen, dass Unternehmen zusätzlich motiviert sind, ein möglichst attraktives internes Hinweisgebersystem aufzubauen, um zu vermeiden, dass Beschäftigte sofort sich an die zuständigen Behörden wenden.
Juristische Einschätzung des Hinweisgeberschutzgesetzes
Zunächst ist es zu begrüßen, dass der Gesetzgeber einen neuen Entwurf zum Hinweisgeberschutzgesetz vorgelegt hat. Auch wenn dies hauptsächlich daran liegen dürfte, dass ihn europarechtliche Vorgaben dazu drängen. Der vorliegende Entwurf geht zum Teil darüber hinaus, was europarechtlich verlangt wird, allerdings auch darüber, was sinnvoll ist. An einigen Stellen greift der Entwurf hingegen nicht weit genug.
Erfreulich ist etwa, dass der Entwurf über die Anforderungen der EU- Whistleblower Richtlinie hinaus geht und Hinweisgeber nicht nur bei Meldungen von Verstößen gegen EU-Recht schützt, sondern auch bei Meldungen von Verstößen gegen bestimmte Bereiche des nationalen Rechts. Allerdings werden dem Entwurf nach nur Meldungen von bestimmten Rechtsverstößen geschützt, etwa straf- oder bußgeldbewehrte Verstöße. Somit bleiben die Meldungen vieler potenzieller Missstände außen vor. Hinweisgeber müssen zudem einen Katalog im Gesetz durchgehen, um abzugleichen, ob der von ihnen beobachtete Verstoß auch wirklich in den Geltungsbereich fällt. Als Beispiel sind Missstände in der Pflege zu nennen, die zwar keinen Rechtsverstoß darstellen, aber durchaus von öffentlichem Interesse sind.
Hinweisgeber haben aufgrund der Gleichstellung von internen und externen Meldesystemen auch bei einer fehlenden internen Meldestelle die Möglichkeit, Verstöße zu melden. Dabei liegt der Vorteil einer internen Meldung auf der Hand, denn es kann nicht im Sinne eines Unternehmens sein, dass tatsächliche oder auch nur behauptete Verstöße zu staatlichen Kontrollen führen. Diese Tatsache spricht auch für die Ermöglichung anonymer Hinweise, auch wenn dafür laut Gesetzesentwurf keine rechtliche Notwendigkeit besteht. Denn somit erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass intern und ohne staatlichen oder öffentlichen Druck Probleme behoben werden können.
Fazit: Rechtsunsicherheit bleibt bestehen
Eigentlich sind wir es in Deutschland bereits gewöhnt, dass ein Hinweisgeberschutzgesetz nicht zustande kommt. Schon in der vergangenen Legislaturperiode war heftig um die Ausdehnung des sachlichen Anwendungsbereichs eines deutschen Hinweisgeberschutzgesetzes gestritten worden.
Leittragende dieser politischen Hängepartie um die Umsetzung der EU-Richtlinie in Deutschland sind letztlich die Unternehmen und die Hinweisgeber, die sich weiterhin mit einer unklaren Rechtslage auseinandersetzen müssen. Unbeachtet dessen sollten sich alle Unternehmen, die unter die Einrichtungspflicht des Hinweisgeberschutzgesetzes fallen, weiterhin mit der Etablierung interner Meldestrukturen beschäftigen. Die Einrichtungspflicht wird kommen – früher oder eben später.