Der Europäische Gerichtshof (EuGH) klärt drei wichtige Fragen zu Ansprüchen auf Schadensersatz und Unterlassung im Rahmen der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Der Richterspruch setzt Unternehmen ohne ausreichendes Datenschutz-Management zunehmend unter Druck (Urteil vom 4. September 2025 – Rechtssache: C-655/23).
Der Sachverhalt
Ausgangspunkt des Verfahrens war ein Rechtsstreit zwischen einer Bankkundin und der Quirin Privatbank AG. Die Klägerin war der Auffassung, ihre personenbezogenen Daten seien unrechtmäßig verarbeitet worden. Neben Löschung verlangte sie, dass die Bank auch künftig von vergleichbaren Datenverarbeitungen Abstand nimmt. Zusätzlich begehrte die Kundin immateriellen Schadensersatz, da sie infolge der Verarbeitung Sorgen, Ärger und Unmut empfunden habe.
Der Bundesgerichtshof sah mehrere unionsrechtliche Auslegungsfragen als klärungsbedürftig an und legte sie dem EuGH vor. Im Zentrum standen die Reichweite der Rechtsbehelfe nach Art. 77 ff. DSGVO sowie die Voraussetzungen und Grenzen des Schadensersatzanspruchs nach Art. 82 DSGVO.
Aktuelle Urteile zur DSGVO
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Das Urteil
Der EuGH stellte klar, dass die DSGVO selbst keinen allgemeinen Unterlassungsanspruch kennt, der unabhängig von einem Löschungsbegehren geltend gemacht werden könnte. Betroffene können also nicht unmittelbar aus der DSGVO heraus die Unterlassung künftiger unrechtmäßiger Datenverarbeitungen verlangen. Gleichwohl bleibt es den Mitgliedstaaten unbenommen, ein solches präventives Vorgehen nach nationalem Recht zu ermöglichen.
Von großer praktischer Bedeutung ist die Auslegung des Begriffs „immaterieller Schaden“. Der Gerichtshof bestätigte, dass auch vergleichsweise leichte Beeinträchtigungen wie Ärger, Unmut oder Sorgen sich als immaterieller Schaden im Sinne des Art. 82 DSGVO qualifizieren können. Eine Bagatellschwelle lehnt er ausdrücklich ab. Entscheidend bleibt allein, dass der Nachteil kausal auf einem Verstoß gegen die DSGVO beruht.
Darüber hinaus stellte der EuGH klar, dass der Verschuldensgrad des Verantwortlichen bei der Bemessung der Schadenshöhe nicht berücksichtigt werden darf. Art. 82 DSGVO dient allein dem Ausgleich, nicht der Sanktion. Schließlich könne eine auf die Zukunft bezogene Unterlassungsanordnung den Ersatzanspruch bezüglich des bereits entstandenen Schadens nicht ersetzen oder mindern – beide Rechtsfolgen stehen selbstständig nebeneinander.
Datenschutzrechtliche Einschätzung mit Blick auf die deutsche Prozesspraxis
Für die deutsche Rechtsordnung hat die Entscheidung eine doppelte Wirkung:
Einerseits ist nun geklärt, dass Betroffene aus der DSGVO selbst keinen vorbeugenden Unterlassungsanspruch herleiten können. Wer dennoch verhindern möchte, dass es erneut zu Datenschutzverstößen kommt, muss auf nationale Anspruchsgrundlagen zurückgreifen.
Naheliegend ist hier insbesondere der zivilrechtliche Unterlassungsanspruch aus § 1004 BGB analog in Verbindung mit § 823 Abs. 2 BGB und den Vorschriften der DSGVO. Deutsche Gerichte haben diesen Weg in der Vergangenheit bereits beschritten und der EuGH hat ihn ausdrücklich nicht versperrt. Klagen, die auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht gestützt sind, haben dementsprechend bereits Erfolgsaussichten. Zum Recht auf Datenschutz ist es von hier aus nicht weit.
Andererseits stärkt die Entscheidung die Anspruchsposition Betroffener bei immateriellen Schäden erheblich. Unternehmen müssen einkalkulieren, dass bereits geringe emotionale Beeinträchtigungen ausreichen können, um einen Schadensersatzanspruch zu begründen. Für die Prozesspraxis bedeutet dies, dass Klagen wegen immaterieller Schäden künftig vermehrt auf eine Vielzahl von alltäglichen Beeinträchtigungen gestützt werden könnten.
Die klare Absage an eine Strafschadensfunktion ist wiederum ein Signal an die deutsche Rechtsprechung: Die Höhe des Schadensersatzes darf nicht nach Verschuldensgesichtspunkten gesteigert oder reduziert werden, sondern muss sich allein am tatsächlich entstandenen (immateriellen) Nachteil orientieren.
Dies dürfte in vielen Verfahren zu einer eher moderaten Bemessung führen – gleichwohl bleibt das Risiko einer Vielzahl kleiner, aber in der Summe kostenintensiver Verfahren bestehen. Zudem zeigt die Praxis zunehmend, dass Betroffene – teils mit äußerst aktiver Unterstützung durch spezialisierte Anwälte – durchaus bereits sind, auch geringere Beträge geltend zu machen.
Fazit
Das Urteil des EuGHs schafft Klarheit: Ein unionsrechtlicher Unterlassungsanspruch existiert nicht, wohl aber eröffnet das deutsche Zivilrecht über § 1004 BGB analog praktikable Möglichkeiten, unzulässige Verarbeitungen auch künftig zu verhindern. Dass der BGH diesen Weg nun ausdrücklich öffnet, dürfte anzunehmen sein.
Gleichzeitig erweitert der EuGH den Anwendungsbereich des immateriellen Schadensersatzes deutlich. Für Unternehmen in Deutschland bedeutet dies: Präventive Maßnahmen zur Vermeidung von Datenschutzverstößen sind wichtiger denn je, da selbst geringfügige Beeinträchtigungen kostenträchtig werden können.